» Alte Bücher und  Schriften oder histoirsche Urkunden bilden einen entscheidenden Baustein unseres kulturellen Erbes! «

» Doch das Fortschreiten der Zeit in Verbindung mit Licht, Luft, Wärme, Feuchtigkeit, Schimmel, Staub sowie Schädlingen wie Holzwürmern, Papierfischen oder Mäusen setzt diesen historischen Belegen zu. Um diese kostbaren Bücherschätze zu erhalten, müssen sie deshalb fachgerecht restauriert werden: Hier beginnt die Arbeit von Henriette Reißmüller. «

» Präzise Feinarbeit: Neuer Glanz für alte Stücke «

Henriette Reißmüller aus Binzwangen bei Colmberg ist »die Buchretterin«: In ihrer Werkstatt kümmert sich die Spezialistin für Papierrestaurierung mit viel Geduld, Herzblut, Genauigkeit und Feingefühl um altes Papier, um das zu retten, was von den oft hunderte Jahren alten Dokumenten noch zu retten ist. 

Restauratorin Henriette Reißmüller

Egal ob morgens als Zeitung auf unserem Esstisch, in den Schulbüchern unserer Kinder, als Rechnung im Briefkasten oder als Gute-Nacht-Lektüre vor dem Schlafen gehen: In Mitteleuropa ist seit rund 650 Jahren Papier das bevorzugte Trägermaterial für Informationen aller Art. Über die Jahrhunderte wurde in Museen, in Archiven, in Kirchen oder bei privaten Sammlern ein großes schriftliches Kulturerbe aus Schriftstücken bewahrt, dass es möglich macht, die Vergangenheit für nachfolgende Generationen wieder zum Leben zu erwecken. Aber der berühmte »Zahn der Zeit« nagt an diesen Kulturschätzen auf ganz vielfältige Weise, angefangen bei der natürlichen Alterung, die zu Veränderungen des Materials führt, bis hin zu Verunreinigungen durch äußere Einflüsse wie Schimmel, Insektenfraß oder das Umblättern der Seiten. Ohne den Eingriff von außen wäre diese Werke dem Verfall preisgegebenen, aber Papierrestauratoren wie Henriette Reißmüller aus Binzwangen bei Colmberg retten durch ihre Arbeit solche gefährdeten Schätze. 

Papier in der Werkstatt der Papierrestauratorin Henriette Reißmüller aus BinzwangenAuf ihrem Werkstatttisch liegen verschiedene Bücher und lose Blätter auf einem geordneten Stapel. Die Schäden sind vielfältig: Papier unterschiedlicher Fabrikation und Qualität, eingerissene, befleckte Seiten, kaputte und verformte Buchrücken oder abgegriffene Einbände. Sie nimmt ein kleines, dünnes Büchlein - ein sehr altes Kochbuch - vorsichtig in die Hände und beginnt daraus vorzulesen. Die Seiten sind vollgeschrieben mit schönen alten Buchstaben aus Tinte, ordentlich und fast kunstvoll geschwungen, wie heute kaum noch einer schreiben kann. Das Papier ist vergilbt und wellig, übersäht mit Flecken, so als hätte jemand die Seiten in Kaffee getaucht. Aber man kann den emotionalen Wert spüren, den dieses Schriftstück für die Familie haben muss, die Henriette Reißmüller das Büchlein anvertraut hat.

Antike Fotografien

Nicht nur Privatkunden überlassen ihr die, mitunter stark mitgenommenen Familienerbstücke, auch kleine Bibliotheken oder öffentliche Archive, die keine eigene Werkstatt haben, beauftragen die Diplomrestauratorin mit der Rettung ihrer beschädigten, historischen Exemplare. Im Laufe ihrer Karriere hat sie, neben Fotografien, Familienchroniken und Bibeln auch schon so manches seltenes Druckerzeugnis gerettet: Notenblätter von Johann Sebastian Bach, Briefe von Friedrich Schiller oder das Saalbuch des bekannten Rothenburger Bürgermeisters Heinrich Toppler. Obwohl solche Dokumente von unschätzbarem historischem Wert sind, hat Henriette Reißmüller keine Angst: »Man bemüht sich dann schon, besonders fein zu arbeiten, aber ich habe keine Angst, etwas zu zerstören, denn ich weiß ja, was ich tue. Es gibt Aufgaben, bei denen man besonders aufpassen muss, dass nichts passiert, aber das liegt dann am Material und nicht dran wer das Schriftstück verfasst hat!«

Das ist kein Wunder, schließlich ist Frau Reißmüller perfekt ausgebildet: Geboren wurde sie in Schillingsfürst im Jahr 1979 und wuchs in der Region an der Romantischen Straße auf. Die Leidenschaft für Bücher und für die Geschichte wurde ihr schon in die Wiege gelegt, ihre Mutter arbeitete als Schriftsetzerin und ihr Vater hatte Geschichte studiert und arbeitete als Lehrer. Schon zu Schulzeiten besuchte die Jugendliche oft und gerne in ihrer Freizeit das Stadtarchiv in Rothenburg ob der Tauber, das städtisches Schriftgut seit dem Jahre 1241 sowie umfangreiche Sammlungen wie Fotos, Nachlässe oder Rats- und Konsistorialbibliothek verwahrt. Nach ihrem Abitur im Jahr 1998, das sie am Reichstadtgymnasium in Rothenburg ablegt, hat Henriette Reißmüller einen feststehenden, beruflichen Plan: Papierrestauratorin. Der Auslöser hierfür war ein Tipp aus dem Stadtarchiv: »Der Archivar hat mir geraten, dass ich keinen Archivar machen soll, einfach weil es in diesem Bereich zu wenige Stellen gibt.« erzählt sie. Noch in der Kollegstufe absolviert sie ein Praktikum im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg und nach dem Abitur ein zweijähriges Vorpraktikum unter anderem in Koblenz, Münster und in Irland in der »Trinity Library« von Dublin. Henriette Reißmüller verlässt ihre Heimat, aber schon damals mit dem festen Plan, eines Tages wieder in die Region zurückzukehren. 

Antikes Buch

Schon während Ihres Studiums an der Fachhochschule in Köln weiß sie, dass sie ihren Traumberuf gefunden hat: »Ich hatte schon immer eine Leidenschaft für Bücher, habe schon immer gerne gelesen, außerdem habe ich mich für die Geschichte interessiert «, erzählt Reißmüller. Sie sammelt während des Studiums viele Erfahrungen, unter anderem im Praxissemester in Kanada im Royal Ontario Museum von Toronto und arbeitet anschließend ab dem Jahr 2005 in einem Privatunternehmen in Leipzig, eine Zeit, an die sie heute immer noch gerne zurückdenkt.

Nach drei Jahren in Leipzig heiratet Henriette Reißmüller ihren heutigen Mann und beschließ im Jahr 2008 wieder zurück in ihre alte Heimat zu ziehen: »In Leipzig wäre es schwierig gewesen, sich selbstständig zu machen, denn dort gibt es schon einige Firmen, die Papierrestaurierung anbieten und deswegen es wäre viel schwieriger Aufträge zu bekommen. Hier in der Region gibt es so gut wie keine Konkurrenz und der Bedarf an meinen Dienstleistungen ist groß. Ein weiterer Pluspunkt ist die Infrastruktur, denn durch die beiden Autobahnen habe ich ein entsprechend großes Einzugsgebiet. Ich wusste also, wenn ich mich in meinem Beruf selbstständig mache, dann hier!«

Dieser Bedarf musste allerdings zunächst bei den Bibliotheken und Museen in der Region ins Gedächtnis gerufen werden, wie sie uns erzählt: »Es war natürlich vor allem am Anfang schwierig, ich musste den Bedarf erst wecken: In die meisten Archive, in die ich gekommen bin, war vorher noch kein Restaurator. Am Anfang habe ich alle Archive im Umkreis angerufen, aber seitdem mache ich keine Werbung mehr, die Kunden kommen jetzt auf mich zu. Es hat sich schnell rumgesprochen, dass es jetzt jemand gibt, der diese Leistung anbietet.«  

Arbeitsmaterial der Papierrestauratorin Henriette Reißmüller

Seitdem flattern die Aufträge von allein ins liebevoll umgebaute Heim der Papierrestauratorin. Es ist eine aufwendige Arbeit, die sie in ihren neu gebauten Werkstatträumen hinter ihrem Wohnhaus in Binzwangen mit viel Fingerspitzengefühl und Erfahrung ausführt. Oft dauert es einige Wochen und viele Arbeitsschritte sind nötig, bis ihre Kunden, die manchmal regelrecht von Holzwürmern und Schimmelpilzen zerfressene Bücher, wieder in Empfang nehmen können. Viel Geduld ist gefragt bis die Schriftstücke wieder in einem Zustand sind, dass man sie getrost anfassen kann, ohne befürchten zu müssen, sie würden sich bei der kleinsten Berührung in Staub auflösen. Die Bücher, Schriftstücke oder Urkunden, die restauriert werden, stammen teilweise noch aus dem Mittelalter. Der Fachbereich der Papierrestaurierung umfasst ein großes Spektrum unterschiedlicher Aufgaben. Das Ziel ist es stets, den ursprünglichen Zustand eines Buches so weit wie möglich wieder sichtbar zu machen, hierfür müssen teilweise auch frühere Verunstaltungen, wie Tesafilmstreifen, fachmännisch entfernt werden.

Alle Werke werden von Henriette Reißmüller zunächst einer Trockenreinigung unterzogen, hierbei werden Staub und mikrobielle Bestandteile abradiert und mit einem feinen Pinsel von den einzelnen Seiten entfernt. Arbeiten die immer wieder anfallen sind außerdem die Glättung von Karten oder Plänen, die Stabilisierung von löchrigen sowie brüchigen Papieren sowie die Ausbesserung der Heftung und des Einbandes. »Sehr gerne restauriere ich Siegel! Man reinigt sie, sichert den Rand und setzt sie dann wieder zusammen. Man arbeitet mit Wärme und ich habe eine kleine Lötstation mit besonderen Aufsätzen.«

Papierpresse in der Werkstatt von Henriette Reißmüller

Neben ihrer Arbeit und ihren Tieren liebt die 45-jährige die Landschaft in der Region: »Ich liebe die Natur, die ist hier sehr schön, kleinräumig und abwechslungsreich. Wir haben zum Beispiel mit den Fahrrädern drei Radtouren in drei verschiedene Richtungen gemacht. Einmal das Taubertal entlang, einmal Richtung Nürnberg und einmal Richtung Altmühlsee. Dabei sind wir durch drei verschiedene Naturräume gefahren und ich finde es schön, dass man in der Region nicht nur eine Landschaft hat. Die Alpen sind schön, aber man hat halt nur Berge, in der Tiefebene ist es nur flach und in der Eifel hat man nur Wald und Moor. Aber hier hat man alles!«. Auch die fränkische Architektur, mit den vielen kleinen Städtchen und Dörfchen hat es ihr angetan. Ihre Lieblingsplätze sind, neben ihrem Garten, die Rebwege im Taubertal, von denen aus man immer wieder eine großartige Sicht auf die Silhouette der Stadt hat und die Schäferskirche (St. Wolfgangskirche) in Rothenburg ob der Tauber.

Auch wenn die Papierrestauratorin nicht alles, was in der Region positiv sieht - so hält sie zum Beispiel den Öffentlichen Nahverkehr, den teilweise schlechten Umgang mit der Natur oder die ein oder andere moderne Bausünden für verbesserungswürdig - fühlt sie sich insgesamt in der Region an der Romantischen Straße Zuhause und für das kulturelle Erbe in unserer Region ist ihre Arbeit ohne Zweifel unglaublich wertvoll.

 

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